Eine Woche auf dem Stubaier Höhenweg (Anja)

Als ich hörte, dass ich die Tourenassistenz für meine Trekking Guide Weiterbildung auch in den Alpen machen könnte, war ich direkt Feuer und Flamme. Und so kam es, dass ich als Co-Leitung eine Woche lang eine Gruppe auf dem Stubaier Höhenweg begleiten durfte. Die einzelnen Tagesetappen hatten ordentlichen Höhenmeter (bis zu 1000 hoch und runter) und Distanzen (bis zu 16 km), aber mit einem Monat „Training“ in den Alpen vorab würde ich mich wohl schon fit bekommen – so hoffte ich zumindest. 😊

Nachdem ich die Teilnehmendenliste bekam, musst ich schlucken: eine reine Männergruppe im Alter von 19 bis 37 war angemeldet. Nun gut: das Geschlecht allein sagt ja erstmal nichts über die Kondition aus, versuchte ich mich zu beruhigen.

Ein bisschen aufgeregt und voller Vorfreude lernte ich die Truppe, dann am Samstag, den 30.7 in Neustift im Stubaital kennen. Sie waren alle echt sympathisch und hatten schon verschiedene Erfahrungen mit Hüttentouren. Diese sollte aber eine ganz besondere Tour werden.

Da ein Teilnehmer unglücklicherweise einen Autounfall hatte, startete ich direkt die Leitung der Gruppe zur Starkenburger Hütte, während der Leiter auf den Nachzügler wartete.  Also direkt rein ins kalte Wasser und die Gruppe 1200 Höhenmeter bergauf führen! Anfangs liefen sie mir schon ziemlich davon, ich konnte sie dann aber doch zu einem langsameren Tempo bringen. Als der Leiter und der Nachzügler uns eingeholt hatten, wurde aber wieder ordentlich Gas gegeben. Meine Sorge über das schnelle Tempo der Gruppe hat sich also leider bewahrheitet… Naja, da musste ich jetzt wohl durch!

Beim ersten Hüttenabend zockten wir direkt das Kartenspiel „Lügen“, wobei wir sehr viel lachten und uns misstrauten. 😊 Das tröstete dann auch ein bisschen darüber hinweg, dass es auf der Hütte keine Duschen gab.

Am ersten morgen starteten wir nach einer unruhigen Nacht in einem Lager mit bestimmt 30 Personen unsere 16 km lange Tour in die wir noch den Gipfel Hohen Burgstall (und zusätzliche 400 hm) einbauten – wieso auch nicht? Jedenfalls war es schöne Kletterei!

Vom Weg war ich direkt sehr begeistert. Es gab viele seilversicherte Kletterstellen und ganz viel steiniges (verblocktes) Gelände, das das Laufen wirklich abwechslungsreich machte. Aber es wurde auch sehr viel Konzentration verlangt, um trittsicher durchs Gelände zu kommen. Als wir am Nachmittag an der Franz-Senn-Hütte ankamen, waren die meisten dann doch so platt, dass sie die Extratour hoch auf einen 3000er absagten – ich hätte dafür sowieso keine Energie mehr gehabt. Die hatte ich zuvor fürs Aufschließen an die Gruppe im Laufschritt gebraucht! 😊

Der zusätzliche 3000er sollte dann am nächsten Tag nachgeholt werden. Leider hatte ein Teilnehmer von den großen Schritten und unebenem Gelände bereits Knieschmerzen bekommen, sodass ich mit ihm bergab ein langsameres Tempo lief. Als wir an der neuen Regensburger Hütte ankamen, machte sich die restliche Gruppe nach einem ordentlichen Mittagessen los zur östlichen Knotenspitze (auf 3101m). Dies schlug einem Teilnehmer so auf den Magern, dass er sich kurz vor der Rückkehr an der Hütte übergeben musste – der Kaiserschmarren vor den 800 Höhenmetern hoch und runter war dann wohl doch etwas viel. Hm, nun waren 2 der 5 Teilnehmenden bereits etwas angeschlagen und am nächsten Tag stand die schwerste Etappe zur Dresdner Hütte an. Diese Strecke war von den Murenabgängen in der Woche zuvor besonders betroffen gewesen. Zum Glück war aber ein begehbareren Weg teilweise neu markiert.

Nachdem ich mich am Tag zuvor noch gedrückt hatte, bot ich an diesem Tag an, die Gruppe anzuführen (was den Vorteil brachte, selbst das Lauftempo vorgeben zu können). Allerdings war die Wegfindung echt eine Herausforderung. Auf einem komplett steinigem Hang irritierte mich ein Pfeil nach links auf dem „neu“ stand. In die Richtung des Pfeils waren allerdings keine weiteren Markierungen zu sehen, dafür Eis unter den Steinen. Nach ein bisschen hin und her Überlegen mit den Leiter, entschieden wir uns dann für den markierten Weg, der sich als richtig entpuppte und uns zu einem lange Stahlseil führte. An diesem mussten wir nun einen steilen Hang mit vielen kleinen, losen Steinen (Schrofen) aufsteigen. Glücklicherweise schafften wir dies ohne großen Steinschlag und kamen zum stahlseilversicherten, teils ausgesetzten Fels. Diese Passage machte mir besonders viel Freude und ich war sehr glücklich als wir mit allen, auch angeschlagenen Teilnehmenden unversehrt auf dem höchsten Punkt des Stubaier Höhenweges ankamen: dem Grawagrubennieder auf ca. 2850m. Dort war es recht neblig und windig, sodass wir uns schnell weiter machten. Auf dem folgenden Weg war mehrmals der ursprüngliche Weg komplett von ca. 5m breiten und tiefen Murenabgängen weggerissen worden. Echt krass – was dieses Unwetter im Zuge des Klimawandels da angerichtet hatte! Zu unserem Glück gab es aber bereits neu markierte Wege drum herum, auch wenn das manchmal einen Umweg und ein paar mehr Höhenmeter bedeutete. Die Mittagspause verbrachten dann einige mit einem Nickerchen am wunderschönen Mutterbergersee. Andere nutzten die Gelegenheit zum Schwimmen oder Füße abkühlen. Ziemlich platt erreichten wir dann schließlich die Dresdner Hütte. Nach einem leckeren Essen sogar mit Salatbuffet, fanden wir dort endlich das Spiel „6 nimmt“ und hatten einen echt spaßigen Abend!

Am nächsten Tag standen dann zwei kurze Etappen des Höhenweges auf einmal an. Die führten uns zum schönsten Ausblick auf den Sulzenauferner mit Gletschersee (auf dem sogar Eisschollen schwammen!), zur Mittagspause an der Sulzenauhütte und zum super idyllischen Grünausee. Auf der letzten Strecke hoch zum Niederl auf 2600m musste ich schon ordentlich mit der Atmung kämpfen, die durch eine Erkältung erschwert wurde. Da wurde ich kurz von einem Murmeltier (Mürmli auf Schwyzerdütsch) abgelenkt, was ganz in unserer Nähe in Seelenruhe etwas vom Boden mümmelte – die Gruppe war davon überzeugt, dass es taub sein musste!

An der neuen Regensburger Hütte angekommen, fühlte ich mich ziemlich platt und machte zur Vorsicht einen Coronatest – negativ. Leider musste sich dort ein weiterer Teilnehmer übergeben und starte die ganze Zeit wie in Trance ins Leere. Als zwei, drei fitte Teilnehmenden noch versuchten den Leiter zu überreden am nächsten Tag noch auf den Gletscher oder einen weiteren 3000er zu steigen, war dieser wegen einer blutigen Blase etwas zurückhaltender. Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass ein weiterer Teilnehmer sich in der Nacht mehrmals übergeben hatte und nicht geschlafen hatte. Vermutlich hatten sich beide einen Sonnenstich eingefangen oder die Käsespätzle am Mittag zuvor nicht vertragen (die ich mir mit dem Leiter aber auch geteilt hatte…). So entschieden wir, dass die „Schlappen“ erst nochmal eine Stunde schlafen sollten und brachen erst gegen 10.15 Uhr auf. Ob wir die eher kurze Etappen mit allen an diesem Tag schaffen würden? Die Gletscherpläne rückten jedenfalls in weite Ferne! Wir verteilten des Gepäck der Kranken um, wobei uns noch zwei Mädels halfen, die wir immer wieder unterwegs auf dem Höhenweg und in den Hütten trafen. In langsamen Tempo machten wir uns los und waren frustriert die ganze Zeit immer noch die alte Hütte sehen zu können. ☹ Nach 1-2 Stunden waren die zwei Kranken schon so platt, dass wir entschieden, ihre Rücksäcke die nächsten ca. 350 Höhenmeter hochzutragen. Da ich selbst angeschlagen war, übernahm ich das langsame Laufen mit den zwei Kranken mit gaaaanz vielen Trinkpausen – das Tempo war eigentlich ganz angenehm für mich! 😉 Ein recht fitter Teilnehmer (ein Schweizer, der beim Militär war und in seiner Freizeit viele Bergtouren macht) und der Guide liefen dafür die Strecke zweimal, um die Rücksäcke der Kranken zu holen. Die anderen zwei Teilnehmenden hüteten oben bzw. unten die Rucksäcke. Heute war echtes Teamwork gefragt! Und das ging auf – mit viel Motivation und Lob schaffen es die zwei Kranken zum höchsten Punkt und schließlich auch den steilen stahlseilversicherten Abstieg runter zur Bremer Hütte. Wir hatten es tatsächlich mit allen hierhin geschafft!!! Nach einer Nudelsuppe war ein Teilnehmer auch schon fast wieder der alte und konnte lachen. Der andere war noch recht platt und verzog sich schnell ins Bett. Ich selbst war auch ganz schön platt und schlief früh ein. Endlich konnte ich mal zumindest bis halb 4 Uhr morgens durchschlafen!

Nachdem wir bisher echt Glück mit dem Wetter hatten und es maximal mal kurz genieselt hatte, war für den Nachmittag/Abend der letzten Etappe Gewitter angesagt. Gleichzeitig bot die Route keinerlei Abstiegsmöglichkeit zwischendurch. Nach einigem Hin und Her entschieden wir uns früh loszugehen und auch der noch angeschlagene Teilnehmer wollte es versuchen (und nicht wie ursprünglich gedacht ins Tal absteigen). Zur Not hätte er wieder zur Hütte zurückkommen können – ein Bett war noch frei. Ob wir diesmal wieder alle an der nächsten Hütte ankommen würden? Wir mussten jedenfalls ein normales Tempo laufen, um nicht zu sehr der Gewittergefahr ausgesetzt zu sein.

Nach den ersten Höhenmetern merkte ich, dass mir meine Erkältung das Atmen echt erschwerte und ich viele kleine Pausen machen musste. Ich konnte kaum mit der Truppe mithalten, die immer wieder auf mich warten musste. Die Route übers Tal wäre aber keine bessere Alternative für mich gewesen, da sie mehr Höhenmeter auch bergauf gebracht hätte. Außerdem war schnell fast die Hälfte der Strecke bergauf geschafft und der Rest ging dann auch noch irgendwie. Bald nach einer kurzen Mittagspause auf dem Grat wurden die Wolken dichter und es fing an zu regnen. Zum Glück blieb das Gewitter zunächst aus. Und endlich erreichten wir eine halbe Stunde - bevor das Gewitter tobte - ziemlich nass die Insbrucker Hütte! Mensch, war ich froh und fiel direkt erstmal total erschöpft ins Bett. Dann halfen eine Kaspressknödelsuppe und ein Liter Tee, um mich einigermaßen wieder auf die Beine zu bringen.

Schließlich hatten wir noch einen schönen Abschlussabend mit Rückblick auf die Tour, einem kleinen Quiz und vielen lieben Feedbackbriefchen. Am nächsten Morgen war für mich klar: Ich würde heute keine Meter mehr aufsteigen sondern möglichst den kürzesten Weg bergab laufen. Glücklicherweise holte mich Jonas unten im Tal mit unserem Bus ab und wir mieteten uns auf einem Campingplatz ein – hier wollten wir bleiben, bis ich wieder richtig gesund wäre.

Als ich am Nachmittag dann nicht mehr so viel schmeckte, machte ich dann nochmal einen Coronatest – der war direkt positiv! Oh weh, so hatte ich mich wohl auf den Hütten doch mit Corona angesteckt! Der Campingplatz war aber nun ein guter Ort und ein guter Zeitpunkt (wir hatten erstmal keine festen Pläne), um die Krankheit in Ruhe im gemütlichen Bus auszukurieren. Und gleichzeitig macht der Blick aus dem Fenster Lust auf weiteren Touren, z.B. den Klettersteig auf die Elferspitze. Das machen wir aber erst, wenn wir beide wieder richtig fit sind. Jonas hatte sich (wie zu erwarten war) nach ein paar Tagen auch bei mir angesteckt und so chillen wir hier mal eine Weile bei schönstem Sonnerscheinen und tollen Aussichten u.a. auf zahlreiche Paraglider.

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Sechs Tage in der Lagorai mit Constantijn

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Einmal bis zum “Top of Germany”